Einer gegen das dreckige Dutzend

An über einem Dutzend Plätzen rund um Basel haben die Chemie- und Pharmakonzerne bis in die 1960er-Jahre feste Abfallstoffe abgelagert. Einige dieser Chemiemülldeponien bedrohen das Grund- und Trinkwasser. Unermüdlich forscht Martin Forter den Verschmutzungen und den Verschmutzern nach und kämpft für die Beseitigung der Altlasten. Er ist der unabhängige Chemiemüllexperte in der Region.

Das sind doch teils recht hübsche Flurnamen: Feldrebengrube, Margelacker, Rothausstrasse, Wannen, Maienbühl, Gravière Nord, Le Letten, Römisloch, Hitzmatte, Galgenrain, Lippsgrube, Hirschacker, Kesslergrube.

Alle diese Ortsbezeichnungen stehen für alte Chemiemülldeponien der Basler Industrie. Die ersten fünf Orte liegen auf Schweizer Boden, die nächsten fünf im nahen Elsass und die letzten drei in Südbaden an der Schweizer Grenze. Einige Deponien werden zurzeit saniert, über andere wird noch gestritten, ob und auf wessen Kosten man sie sanieren muss.

Der Sondermüllermittler

Selber nennt er sich «Altlastenexperte». Man könnte Martin Forter auch als den Sherlock Holmes der Chemiemülldeponien bezeichnen. Seit einem Vierteljahrhundert spürt er den zugeschütteten Tälchen und Kiesgruben rund um die Stadt nach, in denen die Basler Chemie- und Pharmakonzerne bis in die 1960er-Jahre ihre festen Abfallstoffe verlochten. Die flüssigen Abfälle beförderte bequemerweise der Rhein nordwärts.

Welche Giftcocktails liegen in diesen Deponien? Welche Stoffe laufen aus? Gefährden sie das Trinkwasser? Diese Fragen treiben Martin Forter an. Und zwar seit 1986, seit dem schweren Chemiebrand von Schweizerhalle mit der anschliessenden Vergiftung des Rheins. Damals begann der freie Journalist, den Chemiemülldeponien in der Region Basel nachzuforschen. Forter publizierte seine Erkenntnisse immer wieder in der «Basler Zeitung», der «Badischen Zeitung», in «L’Alsace», der «Berner Zeitung» und andern Blättern.

Auch seine Dissertation widmete der Geograf der Kehrseite des wichtigsten Basler Industriezweigs; die Arbeit erschien 2000 unter dem Titel «Farbenspiel» (siehe Hinweis «Weitere Informationen»).

Ab Anfang der 1960er-Jahre duldete keine Gemeinde in der Region Basel mehr eine Chemiemülldeponie. Man hatte genug von den in allen Farben schillernden Bächen, stinkenden Giftschlämmen und übelkeitserregenden Dämpfen. Da wich die Basler Chemie in entferntere Regionen aus, zuerst nach Bonfol im Jura, dann auch ins aargauische Kölliken – heute beides Sanierungsfälle von nationaler Bedeutung. Auch um die Deponien Bonfol und Kölliken hat sich Martin Forter gekümmert. Er hat geforscht, Expertisen erarbeitet, informiert und für den Schutz des Trinkwassers gekämpft.

Und am Thema Schweizerhalle ist er auch drangeblieben über all die Jahre. 2010 ist sein brisantes Sachbuch dazu erschienen: ein sorgfältig recherchiertes Umweltsündenregister der damaligen Betreiberfirma Sandoz und ihrer Nachfolgegesellschaften (Rechtsnachfolgerin ist die Novartis, das Unglücksgelände gehört heute Clariant). Zurückgeblieben ist in Schweizerhalle eine neue Giftdeponie, die zusammen mit den alten Muttenzer Deponien Feldrebengrube, Margelacker und Rothausstrasse das Basler Trinkwasser bedroht.

Enormes Fächerwissen

Martin Forter hat immer und immer wieder gesehen, dass eine Sanierung von Chemiemülldeponien nur auf öffentlichen Druck hin zustande kommt. Die Taktik der Verursacherfirmen sei immer dieselbe, bemerkt Forter mit einer Mischung aus Abgebrühtheit und verhaltener Empörung: nicht hinschauen wollen, verschweigen, vertuschen, Verantwortlichkeiten verwischen und – wenn denn unbedingt aufgeräumt werden muss – einen möglichst grossen Teil der Kosten an die öffentliche Hand abschieben.

Dass dieser öffentliche Druck entstanden ist und dass Organisationen und Politikerinnen über die nötigen Fachkenntnisse verfügen, um Sanierungen zu verlangen, durchzusetzen und kritisch zu begleiten, daran hat Martin Forter grossen Anteil. Er hat sich ein enormes Fachwissen angeeignet – nein: ein Fächerwissen, sind doch für den «Altlastenexperten» Chemie, Biologie, Geologie, Hydrologie sowie die Juristerei (mit den Umweltgesetzgebungen dreier Länder) wichtige Arbeitsinstrumente.

Von Schadstoffen und Grundwasserbergen

«Nehmen wir Hexachlorbutadien: Das ist nur einer der rund fünfzig Stoffe, von denen man weiss, dass sie sporadisch im Basler Trinkwasser auftauchen. Die Bevölkerung der Stadt Basel nimmt diesen Stoff seit dreissig Jahren mit dem Trinkwasser auf.» Hexachlorbutadien ist ein organischer Schadstoff, der sich im Körperfett anreichert. Seine Toxikologie ist über weite Strecken unbekannt, Analysemethoden für den Nachweis im Fettgewebe gibt es noch nicht. – «Aber ich bin überzeugt, dass man diesen Stoff in der Region Basel auch in der Muttermilch nachweisen könnte.»

Kommen diese fünfzig Stoffe aus den Deponien? Wegen der sehr komplexen Grundwasserverhältnisse und -ströme, erklärt Forter, lassen sich die Giftstoffe nicht eindeutig auf die Deponien zurückführen. «Viele Stoffe, zum Beispiel das genannte Hexachlorbutadien, weisen zwar klar auf die Deponien hin, aber der zwingende Nachweis lässt sich nicht erbringen, bisher jedenfalls nicht.» Das Grundwasser werde intensiv genutzt, als Kühlwasser und als Trinkwasser. Zudem werde gezielt Rheinwasser versickert. «Je nachdem, wer gerade pumpt oder versickert, verändern sich die Grundwasserströme völlig.»

Und Forter beschreibt «Grundwasserberge», die zusammenfallen können, wenn man zum Beispiel die Versickerungsanlage in der Hard wegen einer Rheinverschmutzung für mehrere Wochen abstellen müsste. Was heisst das, frage ich, der ich bisher keine Vorstellung von «Grundwasserbergen» hatte. «Der Siff aus allen drei Muttenzer Deponien könnte direkt in die Trinkwasserbrunnen fliessen», erläutert Forter scheinbar ungerührt. «Das so gut wie ist unbestritten.»

Sanierungskosten: rund zwei Milliarden

Sherlock Holmes am Werk, aber es gibt keine greifbaren Beweise? «Ich glaube, es braucht gar keine Beweise im strengen Sinn», so Forter. «Was es braucht, ist eine Indizienkette, die den Gang vor Gericht ermöglichen würde. Man muss ja dann nicht vor Gericht gehen, wie es im Fall Bonfol nötig wurde. Man kann verhandeln. Gerichtlich verwertbare Akten auf den Tisch legen, das ist ein guter Einstieg in Verhandlungen.»

Was würde es denn etwa kosten, aus all diesen Deponien in der Region Basel den Chemiemüll und das vergiftete Erdreich zu entfernen und in Sondermüllöfen zu entsorgen? Forter rechnet. «Im Ganzen etwa zwei Milliarden Franken», schätzt er. Und schiebt gleich nach, dass sich diese Summe ja auf drei oder vier Konzerne und über fünfzehn Jahre verteilen würde, mithin absolut verkraftbar wäre.

Spannender Job

Martin Forter ist ein umgänglicher und freundlicher Mensch, er scheint weder besonders kompliziert noch verschlossen. Dennoch: Persönliches ist ihm nicht viel zu entlocken. Weshalb kniet sich einer derart in dieses wenig erfreuliche Thema? Wie kann er sich das antun, 25 Jahre lang dem Chemiemüll nachzusteigen? «Es ist einfach spannend! Sehr spannend!» Zudem, merkt Forter an, sei es «letztlich auch einfach ein Job», auch er müsse schauen, «dass Geld hereinkommt». Und er gibt zu verstehen, dass er nicht jederzeit üppig leben könne von den Aufträgen, die er von Behörden und Organisationen erhält.

Erholung und Ausgleich zu seinem «Job» findet Martin Forter im Freundeskreis (wo er auch mal den Discjockey gibt) und mit etwas Sport. Dazu gehören Badminton, Wandern und – das ist denn doch bemerkenswert – trotz allem das Schwimmen im Rhein.

Markus Bär


Weitere Informationen:

  • Forter, Martin. Farbenspiel: Ein Jahrhundert Umweltnutzung durch die Basler chemische Industrie. Zürich 2000, Chronos Verlag (überarbeitete Fassung der Dissertation von 1998)
  • Forter, Martin. Falsches Spiel: Die Umweltsünden der Basler Chemie vor und nach «Schweizerhalle». Zürich 2010, Chronos Verlag
  • Allianz Deponien Muttenz (ADM), 4132 Muttenz

  • Forum besorgter TrinkwasserkonsumentInnen (FbTK), Postfach 938, 4001 Basel

Website von Martin Forter

 

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