Linde-Gedicht

Zum ‚Rüden‘ auserkoren
da steht ein Lindenbaum ...

Von Margrit Bieri

Ein kleiner Platz im Herzen der Stadt,
der eine bewegte Vergangenheit hat.

Früher waren da Wagen mit Korn gefahren;
später kamen Leute zum Kaufhaus in Scharen.
Das Kaufhaus wurde zur Hauptpost mit viel Verkehr,
schon bald fuhren Tramwagen hin und her.

Der Platz ohne Name war Traminsel jetzt;
täglich stiegen Leute aus und ein, gehetzt
von der Zeit, um noch schnell auf die Post zu geh’n,
niemand mochte lang an der Haltstelle steh’n.

Verkürzt wurde bald die Wartezeit,
auf der Insel stand nun ein Kiosk bereit,
um schnell noch einen Wunsch zu erfüllen
oder Neuigkeiten mit Schlagzeilen zu enthüllen.

Haltestellen mussten weichen der Schnellebigkeit,
auch für die Hauptpost kam es dann soweit;
die Insel mit dem Kiosk sah verlassen aus –
ein Lastwagen machte ihm gänzlich den Garaus!

Eine Plakatsäule wurde Ersatz für Information,
ein Gedankenkiosk war die weitere Option.
Für die Zukunft fing der WWF an zu denken:
er wollte der Stadt eine Linde schenken.

Die Regierung hatte heimlich an einen Brunnen gedacht...
so wurde ein langwieriger Streit entfacht.
Im Jubiläumsjahr ist endlich das Ziel erreicht! –
die junge Linde hat’s allerdings nicht leicht.

Die Geschichte berichtet von den Linden,
dass sich unter ihr die Menschen finden,
die Frieden suchen und der Hektik entflieh’n,
um gestärkt wieder in den Alltag zu zieh’n.

Statt Menschen sieht uns’re Linde nur Velos steh’n
und Velofahrer, die eiligst wieder geh’n.
Ihr Stamm, zum Glück vom Eisengehege geschützt,
wird als Veloständer rege benützt.

Ein Kunstwerk sollte die Bedeutung des Baumes erhöh’n,
doch für die Regierung war es vermutlich einfach zu schön,
ihr Herzblut blieb für die Sache verstockt –
wieder ein Werk von Bettina Eichin abgeblockt!

So wird der Baum zum armen Sinnbild für das Rad der Zeit...
trauert mit ‚Drahteseln‘ um Würde und Geselligkeit. ...
Wo bleibt der Ort der Ruhe – ist das der Traum
vom viel besungenen Lindenbaum?

Margrit Bieri

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